06.06. – Eine Etappe voller Herausforderungen und Geschichte: Die achte Etappe – 20 km von Berducedo nach Grandas de Salime

Abenteuer bedeutet Unvorhersehbarkeit. Der Camino hält immer wieder Überraschungen bereit. Heute sollte es nicht anders sein.

Gestern bewältigte ich über 500 Höhenmeter. Für die heutige, 20 Kilometer lange Etappe hatte ich laut Höhenprofil im Internet mit maximal 300 Höhenmetern gerechnet. Eine Fehleinschätzung!

Direkt hinter der Herberge beginnt der Aufstieg. Anfangs bin ich noch zuversichtlich. Ich denke, der Anstieg ist schnell geschafft. Weit gefehlt!

Ich erreiche eine große Gruppe von Pilgern. Sie stehen an einer Weggabelung und blockieren den Weg. Verwirrung herrscht. Auch ich bin ratlos. Eigentlich sollte hier eine Camino-Muschel die Richtung weisen. Doch Unbekannte haben die Muschel aus dem Stein gebrochen. Keine Orientierung! Ich versuche, meine Position mit der Gronze-App zu bestimmen. Bisher hat sie mir immer gute Dienste geleistet. Doch heute habe ich keine Netzverbindung. Eine weitere Schwierigkeit! Schließlich folge ich einem Schild nach Grandas de Salime. Das ist schließlich mein heutiges Ziel. Nach einer Weile entdecke ich einen weiteren abgerissenen Camino-Hinweis. Zumindest bestätigt er mir, dass ich noch auf dem richtigen Weg bin. Eine kleine Erleichterung! Doch dann die nächste Überraschung: Ich muss heute wieder auf 1000 Meter Höhe steigen. Die Gronze-App zeigt eine aktuelle Höhe von nur 100 Metern an. 900 Höhenmeter liegen noch vor mir bis zum kleinen Dorf Buspol. Ein extrem steiler Anstieg kündigt sich an.

Auf dem Weg nach Buspol.

Meine Gedanken wandern zu dem japanischen Pilger, den ich vorgestern getroffen habe. Ein sympathischer Mensch! Er hustete nachts heftig. An der Abzweigung zur Hospitales-Route sah ich ihn zum letzten Mal. Er wirkte krank, hatte Fieber. Trotzdem wollte er weitergehen. Ich bot ihm Begleitung an, doch er lehnte ab. Wie mag es ihm jetzt gehen? Eine besorgniserregende Frage!

Von Buspol aus geht es steil bergab.

In Buspol erwartet mich ein atemberaubender Ausblick. Ich befinde mich hoch über den Wolken. Nur die Gipfel der umliegenden Berge ragen daraus hervor. Ein beeindruckendes Panorama! Der Abstieg ist genauso steil wie der vorherige Aufstieg. Bisher freute ich mich immer auf den Abstieg nach einer Anstrengung. Doch diesmal quäle ich mich Kilometer um Kilometer den Berg hinunter. Meine Knie schmerzen immer mehr. Eine Qual!

Die Wolken ziehen ab. Tief unter mir erstreckt sich der riesige Salime-Stausee. Ich muss ihn auf der Staumauerseite umrunden. Grandas de Salime ist schon von Weitem auf der anderen Seite des Berges zu sehen. Zum Greifen nah! Doch ein Wegweiser zeigt: Noch zwölf Kilometer. Eine lange Strecke!

Ich gehe weiter. Der Abstieg zieht sich. Der Stausee scheint immer noch genauso tief unter mir zu liegen wie zuvor. Eine optische Täuschung?

Endlich erreiche ich die Staumauer. Auf der anderen Seeseite entdecke ich ein Restaurant. Ein Stück weiter steht ein Schild: Grandas de Salime, noch sechs Kilometer. Der Weg führt weiter bergauf auf einer Landstraße ohne Gehweg. Völlig außer Atem erreiche ich nach einem weiteren Kilometer das Restaurant. Eine willkommene Pause!

Der lange Abstieg zum Grandas de Salime Stausee.

Normalerweise trinke ich keine Cola. Heute ist eine eiskalte Cola Zero die perfekte Erfrischung. Nach zwei Gläsern nehme ich die letzten fünf Kilometer in Angriff. Die Sonne brennt. Die Straße strahlt Hitze ab. Eine doppelte Belastung! Ich quäle mich die steile Straße hinauf.

Anderthalb Kilometer vor Grandas biege ich links auf einen Waldweg ab. Es wird noch einmal richtig steil. Obwohl ich nun im Schatten gehe, brauche ich eine weitere Pause. Die Kräfte schwinden!

Endlich lässt die Steigung nach. In der Ferne sehe ich die ersten Häuser. Das Ziel ist in Sicht!

Ich erreiche den Ortseingang von Grandas de Salime. Die vielen neuen Häuser zeugen von der Umsiedlung der Bewohner des alten Salime im Jahr 1954. Unter Francos Diktatur wurde der Ort im Tal für den Stausee geflutet. Damals lebten hier 3.500 Menschen. Heute sind es nur noch knapp 1.000. Eine traurige Geschichte!

Dieser Ort schrieb am 11. September 2015 erneut Geschichte. Hier wurde der Mörder der amerikanischen Pilgerin Denise P. verhaftet. Sie wurde am 5. April 2015 bei Astorga getötet. Der Spanier Miguel Angel Munoz Blas konnte nach langer Suche gefasst werden. Er frühstückte gerade vor der Bar Centro, direkt am Jakobsweg neben der Kirche, als ihn seine Vergangenheit einholte. Ein dramatisches Ereignis!

Die Herberge Porta de Grandas in Grandas de Salime.

Kurz nach meiner Ankunft finde ich meine Unterkunft: die Herberge Porta de Grandas. Eine angenehme, private Herberge in einem renovierten Haus mit rustikalen Elementen. 26 Betten in drei Schlafräumen und eine kleine Küche stehen zur Verfügung. Ein Handtuch ist im Preis inbegriffen. Eine Seltenheit!

Noch nie habe ich mich so sehr auf eine Dusche gefreut. Was ist das Schönste am Camino? Eine erfrischende Dusche nach einer anstrengenden Wanderung!😉 Eine einfache, aber ehrliche Antwort.